Spuren jüdischen Lebens in Görlitz
Nach Jahren der aufwändigen Sanierung ist die Görlitzer Synagoge seit Juli 2021 als Kulturforum wieder Teil des Stadtlebens. Wer das überregional und international beachtete Kulturdenkmal besucht, wird von dessen architektonischer Schönheit und dem faszinierenden Farbenspiel im Kuppelsaal zweifellos überwältigt. Ein vergoldetes Schuppenmuster und majestätisch wirkende Löwen schmücken die Decke, kostbare Materialien in edler Verarbeitung betonen die Ostwand mit dem Thoraschrein.
Synagoge überstand die Pogromnacht von 1938
1911 geweiht, gleicht es einem Wunder, dass der jüdische Sakralbau nach wie vor erhalten ist. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde das imposante Gebäude zwar in Brand gesteckt, doch die Feuerwehr kam, um die Flammen zu löschen. Der Bau im Stil der Reformarchitektur zählt damit zu den wenigen Synagogen in Deutschland, die den Nationalsozialismus überstanden.
Zu DDR-Zeiten diente die Synagoge zeitweise als Lager für Theaterkulissen. Sie fristete jedoch eher ein Schattendasein und verfiel zunehmend. Nach 1990 begann die Rettung und Sicherung des Gebäudes. Mit Millionenaufwand wurde es schrittweise saniert. Der Thoraschrein, das Allerheiligste in einem jüdischen Gotteshaus, steht heute offen – als Zeichen der Verletzung an zentraler Stelle, wo früher die Thorarollen aufbewahrt wurden.
Selbstbewusster Bau und vielseitiges Kulturforum
Die Dresdner Architekten William Lossow und Max Hans Kühne, die auch den Hauptbahnhof in Leipzig entwarfen, verwendeten beim Bau der Görlitzer Synagoge sehr moderne Technologien. Die flache Kuppel aus Eisenbeton, die sich über den Hauptraum wölbt, hat eine Spannweite von 16 Metern. Darüber erhebt sich die Stahlskelettkonstruktion für den 33 Meter hohen Turm, mit dem die Bauherren einst selbstbewusst anzeigen wollten, dass das Judentum seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat.
Eine jüdische Gemeinde bildete sich nach 1945 nicht mehr. Seit 1963 ist das Denkmal in Besitz der Stadt Görlitz. Als Kulturforum kann die Synagoge heute ganz unterschiedlich genutzt werden: für Bildung, Konzerte, Vorträge, Festveranstaltungen und Tagungen.
Das Haus ist außerdem zur individuellen Besichtigung mit Multimediaguide geöffnet. Ein Gebetsraum in der früheren Wochentagssynagoge steht für Andachten und Gottesdienste zur Verfügung.
Originale Stätten in der Stadt erzählen
Darüber hinaus können Interessierte weitere geschichtsträchtige Orte erkunden, zum Beispiel den jüdischen Friedhof mit imposanten Grabmalen und repräsentativen Familiengrabstätten. Er wurde 1849 angelegt. Bis 1934 fanden hier regelmäßig Beerdigungen statt.
In der Zeit des Dritten Reiches gab es auf diesem Friedhof kaum noch Bestattungen. Viele Juden flüchteten aus Görlitz, gingen in die Emigration oder wurden deportiert. Der Friedhof jedoch blieb bestehen, ebenso die ehemalige Feierhalle an der Südseite.
Auch die Alte Synagoge, heute ein Literaturhaus, ist einen Besuch wert. Sie diente 57 Jahre als Gotteshaus, bis 1911 die neue Synagoge in der Otto-Müller-Straße gebaut wurde. Außerdem finden sich in der Nikolaistraße 5/6, im Kellergewölbe des heutigen Hotels Paul Otto, Teile eines jüdischen Bades, auch Mikveh genannt. Dessen Entstehung wird auf das 14. Jahrhundert datiert.
Die jüdischen Einwohner von Görlitz waren ein wichtiger und einflussreicher Teil der Bürgerschaft. Viele ihrer Häuser und Stadtvillen sind heute noch erhalten. Vor mehreren Gebäuden erinnern sogenannte Stolpersteine an das Schicksal der früheren Bewohner, die während der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
Meist zweimal im Monat führt ein themenspezifischer Rundgang zu Originalstätten jüdischen Lebens. Stationen sind das Jüdische Viertel des Mittelalters und die Orte der jüdischen Gemeinde zwischen 1849 und 1941.