Ein Besuch … im Deutschen Kleingärtnermuseum Leipzig
Er erscheint wie eine andere Welt, ein Rückzugsort, ein kleines Paradies. Das hölzerne Tor fällt ins Schloss und sperrt Stress, Hektik und so manches Ärgernis einfach aus. Die gemütliche Bank in der Nachmittagssonne verlockt zu einer kurzen Pause, bis sich die Augen nicht mehr vor der anfallenden Arbeit verschließen lassen. Herzlich willkommen im Kleingarten.
Der Reiz des Gärtnerns steckt an
Was macht das Gärtnern aus? Es ist das zufriedenstellende Gefühl, mit den Händen eine eigene Idylle zu erschaffen. Wenn sich aus dem winzigen Samen, der im Frühling in die Erde gesteckt wird, ein Sprössling und später eine kräftige Pflanze entwickelt, schlägt jedes Herz höher.
Bunte Blumen wiegen sich im Wind und geben Honigbienen oder Schmetterlingen Nahrung. Bei einem kurzen Plausch über den Gartenzaun werden die neuesten Ernteerfolge gewürdigt oder Tomaten gegen Zucchini getauscht. Die praktische Laube ist schick hergerichtet, saftiges Obst zu süßen Säften verarbeitet und unter dem Herbstlaub findet vielleicht ein Igel sein Winterquartier. Im Garten passiert jeden Tag ein kleines Wunder. Es gibt in ihm aber auch täglich etwas zu erledigen.
Die Sehnsucht nach diesem eigenen Stückchen Natur ist groß und wächst. Da kommen die verhältnismäßig geringe Pacht, die gute Erreichbarkeit und der hohe Erholungsfaktor eines Kleingartens genau richtig. Gerade in dicht besiedelten Gebieten steigt der Bedarf nach diesen grünen Refugien abseits des Großstadtlärms.
Üppige Parzellen in Vereinen werden häufig in zwei Flächen aufgeteilt und nicht selten gibt es eine Warteliste. „Die Nachfrage geht seit etwa zehn Jahren nach oben“, berichtet auch Caterina Paetzelt, Leiterin des Deutschen Kleingärtnermuseums in Leipzig.
Leipziger Kleingärtnermuseum zeigt 200-jährige Geschichte
Doch seit wann gibt es Kleingartenanlagen und wie haben sie sich entwickelt? Im schmucken Vereinsheim der denkmalgeschützten Gartenanlage „Dr. Schreber“ in Leipzig präsentiert das Museum die 200-jährige Geschichte der deutschen Kleingartenbewegung. Ihre Ursprünge lassen sich in Großbritannien finden, wo die Industrialisierung und die damit einhergehende Landflucht früher als auf dem Kontinent einsetzten.
Menschen wohnten in den Städten in engen Quartieren, arbeiteten meist den ganzen Tag in Hallen mit schlechter Luft und aßen kaum noch Vitamine: keine sonderlich gesunden Lebensbedingungen. Ein Teil der Lösung waren von engagierten Personen und Institutionen freigegebene Flächen, die die Ärmsten für die eigene Versorgung bewirtschaften durften.
Im 19. Jahrhundert breitete sich das Kleingärtnertum auch in Deutschland langsam aus. Armengärten im norddeutschen Raum, Arbeitergärten des Roten Kreuzes, Berliner Laubenkolonisten, die Naturheilbewegung, Gärten von Fabrikanten und die Schreberbewegung zählen hierzulande zu dessen sechs Wurzeln.
1814 verpachtete ein Pfarrer Kirchenland in Kappeln an der Schlei an Garteninteressenten; mit eigener Ordnung, eigenem Vorstand und festgelegtem Pachtpreis – der erste deutsche Kleingartenverein entstand. Bis nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich Gartenanlagen fest im Stadtbild etabliert. Um sich zu organisieren, gründete sich 1921 der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands.
Warum Kleingärten keine Schrebergärten sind
Die Anlage des Vereins „Dr. Schreber“, die das heutige Museum umgibt, geht auf die Schreberbewegung zurück.
„Viele verwenden den Begriff Schrebergärten. Allerdings hatten die ersten Flächen nach Schrebers Vorbild nichts gemein mit den Gärten, wie wir sie heute kennen“,
klärt Caterina Paetzelt auf. In Leipzig kann man das noch gut sehen. Inmitten des Areals befindet sich eine große Wiese samt Spielplatz, die von mehreren Bänken unter schattenspendenden Linden gesäumt wird. Der Leipziger Pädagoge und Orthopäde Moritz Schreber war der Auffassung, dass nur durch körperliche Ertüchtigung auch der Geist größere Aufgaben bewältigen kann. In diesem Sinn organisierte der Direktor der IV. Bürgerschule in Leipzig, Ernst Innocenz Hauschild, drei Jahre nach Schrebers Tod mit engagierten Bürgern sportliche Spiele und Aktivitäten für Kinder auf einer großen Wiese mit Turn- und Sportgeräten.
1864 wurde so der weltweit erste Schreberverein in Leipzig gegründet, damals noch am Rand der Stadt. Pädagogisch betreutes Spielen täglich nach dem Unterricht, Wanderungen, Ferienfreizeiten, Feste und regelmäßige Elternabende fanden statt – letztere besonders, um Wissen an die Eltern weiterzugeben. Mangelernährung und einer gewissen gesellschaftlichen Kälte, die die zunehmende Industrialisierung mit sich brachte, konnte so entgegengewirkt werden.
Um die große Sportwiese in Leipzig entstanden erst nach und nach kleine Beete, die zunächst die Kinder selbst pflegen sollten. Sie entschieden sich allerdings lieber für die sportlichen und spaßigen Spiele und überließen es nur zu gern den Erwachsenen, die Harke in die Hand zu nehmen – aus Kinderbeeten wurden Familienbeete und der Anfang der Kleingartenanlage war gemacht.
Kleingartenanlage „Dr. Schreber“ als Herzstück des Museums
In der Dauerausstellung „Deutschlands Kleingärtner vom 19. bis zum 21. Jahrhundert“ in den Räumlichkeiten des über 100 Jahre alten Vereinshauses zeugen alte Briefe, Vereinsfahnen und zahlreiche Fotografien von dieser Anfangszeit und der wechselvollen Geschichte der Bewegung in ganz Deutschland. Gegründet wurde das Museum 1996. Als Stätte des 1. Schrebervereins schlummerten im Archiv noch zahlreiche interessante Materialien, die in der Ausstellung aufgearbeitet wurden.
Das Herzstück ist allerdings die Kleingartenanlage selbst. Als Naherholungsgebiet klassifiziert, lockt sie auch viele Spaziergänger an. „Das ist übrigens ein Grund dafür, dass die Heckenhöhe oft begrenzt ist: Besucher sollen einen freien Blick in die wunderschönen Parzellen werfen können“, weiß Museumschefin Paetzelt. In dem denkmalgeschützten Areal finden sich an den Gartenzäunen zahlreiche Tafeln, die beschreiben, wem der Garten früher gehörte – und das waren besonders zu Anfangszeiten Leipziger Persönlichkeiten der gutbürgerlichen Gesellschaft.
In drei Schaugärten durch die Jahrhunderte reisen
Wer eine Eintrittskarte ins Museum kauft, kann sich auch in den drei Schaugärten umsehen. Eine Parzelle versetzt in das Jahr 1900. Ein gerader, mit einer niedrigen Hecke gesäumter Weg leitet den Blick direkt auf eine schmale Laube. Alles ist akkurat angelegt, es gibt Apfelbäume, Beerensträucher und sogar Tabakpflanzen. Früher bauten die Menschen ihren Tabak meist selbst an, trockneten die Blätter und brachten sie dann zum Fermentieren.
Im DDR-Garten sieht die Welt schon wieder ein bisschen anders aus – vor allem größer und bunter. Die Laube steht schräg in der Parzelle und ist gen Sonne ausgerichtet. Blumen blühen in allen erdenklichen Farben und Nutzpflanzen warten auf ihre Verarbeitung.
Ein paar Meter weiter öffnet sich der Laubengarten mit vier farbenfrohen historischen Lauben, die original erhalten in ganz Sachsen ausfindig gemacht wurden. Ein Blick ins Innere macht die Zeit von 1890 bis 1924 wieder lebendig. Gleich nebenan entstand eine Blühwiese, die Mittelpunkt des „EntdeckerGartens“ ist.
Verschiedenste Schmetterlinge, Grillen und Grashüpfer, große und kleine Käfer und nicht zuletzt fleißige Pollensammler fühlen sich hier wohl. Mit solchen „wilden“ Flächen mitten im geregelten Kleingartenbetrieb wächst auch das Bewusstsein für die Natur immer weiter. Laut Caterina Paetzelt könne jeder etwas dazu beitragen, die Artenvielfalt zu schützen: Totholz für Insekten liegenlassen, Gärtnern ohne Pestizide oder Nistplätze für Vögel schaffen.
Ein Garten ist nie fertig – und das ist das Schöne
Führungen, Workshops und Aktionen zur Leipziger Museumsnacht oder der Fête de la Musique vermitteln dieses Anliegen auf unterhaltsame Art und machen das Museum immer bekannter. „Unsere Besucherzahl steigt erfreulicherweise stetig. Darin spiegelt sich der Trend zum Kleingarten wider“, erklärt die Museumsleiterin, die selbstverständlich auch eine Parzelle im Verein gepachtet hat.
„Das Schöne am Gärtnern ist, dass es so herrlich normal ist. Und wenn man sich darauf einstellt, dass ein Garten nie fertig ist, kann man ihn auch richtig genießen. Den perfekten Garten gibt es sowieso nicht. Für die einen gehört Unkraut dazu, der andere mag es gern akkurat. In einem Verein hält man trotzdem zusammen, leistet die vorgeschriebenen Arbeitsstunden für die Gemeinschaft und hilft sich untereinander.“
„Gartenzwerge sind übrigens nicht zwingend vorgeschrieben“, räumt Caterina Paetzelt augenzwinkernd mit einem gängigen Klischee auf. „Natürlich sind Regeln notwendig, immer dann, wenn Menschen zusammen sind. Im Kleingarten geht es aber in erster Linie um das kleine Stück Glück“, schwärmt sie und denkt an die vielen vollen Marmeladengläser, die aus ihrer reichen Himbeerernte stammen.
Autorin: Christiane Schwarzbach
Aachener Straße 7, 04109 Leipzig
Tel. 0341 2111194
Öffnungszeiten
Dienstag–Donnerstag 10–16 Uhr; Juni–August: zusätzlich Samstag/Sonntag 10–16 Uhr
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