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Ein Sachse erobert die Störtebeker-Festspiele auf Rügen

Deutschlands jüngster Störtebeker ist ein Sachse. Seit 2022 steht der gebürtige Radebeuler Moritz Stephan (34), der in Dresden lebt, bei den Störtebeker-Festspielen als Titelheld auf der Naturbühne am Großen Jasmunder Bodden. Jeden Sommer strömen tausende Besucher aus nah und fern in das verträumte Fischerdörfchen Ralswiek auf der Insel Rügen, um unter freiem Himmel ein fulminantes Seeräuber-Spektakel zu erleben.

Gerlinde Bauszus hat sich mit dem Schauspieler unterhalten, der schon als Kind von der Rolle des Haudegens Klaus Störtebeker träumte, als seine Eltern Grit Stephan und Jürgen Haase im geschichtsträchtigen Theatersand an der Ostsee spielten.

Im diesjährigen Störtebeker-Stück „Hamburg 1401“ erwartet Sie laut Veranstaltungsplakat ein „Rendezvous“ mit dem Henker. Wie wohl fühlen Sie sich noch in Ihrer Haut?

Ehrlich gesagt freue ich mich auf dieses Wagnis. Eine Herausforderung, die spielerisch sehr reizvoll ist. Vor allem freue ich mich auf die Freiheitsrede zum Schluss des Stückes.

Ich nenne sie gern „Braveheart“-Rede, weil Störtebeker noch einmal an die Freiheit, Zivilcourage, den eigenen Willen appelliert, bevor er sich der Obrigkeit ausliefern muss.

Haben sich bislang Ihre Erwartungen in der Rolle als Klaus Störtebeker erfüllt?

Mehr als das! Anfangs hatte ich riesigen Respekt davor. Denn ich wusste ja, mit welchem Anspruch Familie Hick (Ruth und Peter Hick riefen 1993 die Störtebeker-Festspiele ins Leben, Anm. d. Red.). arbeitet. Die wollen echte Seeräuber-Typen.

Dazu kam, dass mich dieses Piraten-Spektakel von klein auf begleitet: Ich konnte meinen Eltern beim Theaterspiel zuschauen, durfte die bisherigen Störtebeker-Darsteller erleben. Nun stehe ich selbst auf dieser beeindruckenden Naturbühne; kämpfe, reite, fechte.

Natürlich wird da ein Traum wahr. Schauspielerisch und körperlich eine große Erfüllung für mich. Außerdem, einen Sommer lang auf dieser wundervollen Insel zu leben, was will man mehr.

Seit 2022 kämpft und reitet Moritz Stephan als legendärer Pirat Klaus Störtebeker bei den gleichnamigen Festspielen auf der Insel Rügen. Foto: Störtebeker Festspiele

Welcher der bisherigen Störtebeker-Darsteller hat Sie am meisten beeindruckt?

Geprägt haben mich Norbert Braun und Sascha Gluth. Braun, weil er sehr heldenhaft, charismatisch ist. Spektakulär, wie er mit seinem riesigen Schwert mächtige Kämpfe ausgefochten hat.

Gluth hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Mit ihm verbindet mich das Theater Junge Generation in Dresden, uns drei unser Engagement auf der Felsenbühne Rathen.

Wo sehen Sie sich selbst als jüngster Störtebeker?

So ein bisschen dazwischen. Es ist schön, sich die beiden als Vorbilder zu nehmen und etwas Eigenes daraus zu machen. Vielleicht auch die Gratwanderung zu finden zwischen geerdet sein, menschlich, und einer Heldengestalt, die für die Freiheit das Schwert erhebt.

Was gefällt Ihnen an dieser Form der Theaterarbeit auf einer Freilichtbühne besonders?

Der Umgang mit den Tieren. Weil man eine andere Art der Kommunikation finden muss.

Gleich in meinem ersten Störtebeker-Jahr bekam ich einen jungen Andalusier-Hengst. Wunderschön, doch ungestüm. Bei den Proben gab es manche Schrecksekunde. Das Tier aber hat mich gelehrt, mit Ruhe, Gelassenheit und Körpersprache zu agieren.

War es mit Ihrem gefiederten Freund, dem Steinadler Laran, ähnlich?

Bei unserer ersten Begegnung hatte ich echt Respekt, als sein riesiger Schnabel so dicht vor meiner Nase auftauchte. Aber mittlerweile haben wir Vertrauen zueinander gewonnen.

Ihm direkt in die Augen schauen zu können, ist für mich ein großes Vergnügen. Das sind Momente, die ich bisher auf keiner anderen Bühne, an keinem anderen Theater, kennengelernt habe.

Für die Zuschauer ist es immer imposant, wenn Laran dicht über ihren Köpfe hinweg zu Ihnen auf die Bühne fliegt. Gänsehaut-Gefühle auch für Sie?

Oh ja! Das ist ein sehr majestätisches Schauspiel. Vor allem, wenn er dann sanft auf meinem Arm landet – selbst, wenn mal ein kräftiger Ostwind über die Bühne fegt.

Immerhin wiegt der Bursche einige Kilo. Ihn überdies länger als ein Weilchen zu halten, dafür musste ich schon etwas trainieren.

Wie meistern Sie insgesamt die körperlichen Anstrengungen von 67 Vorstellungen pro Saison?

Mit Fitness und gesunder Ernährung. Ein befreundeter Stuntman gab mir wertvolle Tipps. Diese Übungen helfen mir sehr. Pro Abend machen wir immerhin etwa 4.000 Schritte durch den Theatersand und verbrennen bis zu 1.400 Kalorien.

Pro Abend legen die Schauspieler rund 4.000 Schritte im Theatersand zurück und verbrennen bis zu 1.400 Kalorien (im Bild Moritz Stephan in einer Szene mit Mike Hermann Rader). Foto: Störtebeker Festspiele

Sie gehören ja sozusagen zur zweiten Störti-Generation. Wie war es, als Kind diese Insel zu erleben?

Abenteuer pur. Wir waren einige Schauspielerkinder. Tim Braeutigam zum Beispiel, der als Pyrotechniker in der Firma seines Vaters arbeitet. Anna-Theresa Hick natürlich oder einige Stuntman-Nachkommen.

Jetzt sind wir wieder vereint und können es kaum glauben, dort zu sein, wo unsere Eltern einst angefangen haben. Schön, wenn immer wieder Neues entsteht. So etwas findet man nicht oft.

Was nehmen Sie nach einem Störtebeker-Sommer mit nach Hause?

Ein bisschen Wehmut, weil man dieses herrliche Insel-Feeling nicht einfach in die Tasche packen kann. Aber natürlich auch viele schöne Erinnerungen, die ich jederzeit abrufen kann. Immer wieder auch Vorfreude auf die neue Saison. Also viel Hoffnung.

Was passiert in der Zeit zwischen den Festspielen?

Das ist meist offen. Im Herbst 2023 hatte ich Glück mit der kleinen Theaterproduktion „Ach! Ein Abend für die Liebe“ auf Schloss Scharfenberg (bei Meißen, Anm. d. Red.). Für mich doppelte Freude.

Zum einen, weil ich in diesem Dorf meine Kindheit verbracht und Jahre später im Schloss 18. Geburtstag gefeiert habe. Zum anderen, weil ich mich musikalisch am Schlagzeug einbringen und Rio Reisers „Für immer und Dich“ singen konnte.

Wo sind Ihre Lieblingsplätze in Ihrer sächsischen Heimat?

Das ist durchmischt. Die Dresdner Altstadt finde ich schön. Kommt Besuch, gehen wir oft dorthin. Mir gefällt auch die Nähe zur Elbe, wo es ein bisschen grüner wird.

Ach, es gibt so viele tolle Ecken. Da lege ich mich ungern fest. Es gibt jedoch einen Platz, der vielleicht gar nicht so spektakulär, aber für mich und meine Freundin sehr besonders ist.

Verraten Sie mehr?

Ich denke dabei an das Ostragehege in der Kernzone des Elbtals. Auf dem dortigen Hügel mit Blick auf die Stadt hatten wir unser erstes Date.

Der gebürtige Radebeuler Moritz Stephan, der mit seiner Familie in Dresden lebt, schnupperte schon als Kind Bühnenluft. Foto: Tabea Hörnlein

Wie gehen Sie mit der zunehmenden Bekanntheit um? Schwappt die bis nach Dresden?

Ja, und das ist schön so. Es hält sich aber alles noch in Grenzen. Wenn ich auf Instagram poste, merke ich an den Rückmeldungen, welche Reichweite das alles hat. Aber noch kann ich ungestört einkaufen gehen.

Als echtes Theaterkind probierten Sie sich auf der Felsenbühne Rathen in der Sächsischen Schweiz schon früh künstlerisch aus. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre damaligen Bühnenauftritte denken?

Dass ich auf der Felsenbühne meine ersten Schritte Richtung Schauspiel ging. Da war ich fünf. Später spielte ich in den Schulferien mit, lernte reiten und als Jugendlicher mit dem Tomahawk umzugehen.

Einen Apachen zu spielen, reflektiere ich heute ganz anders. Aber mit 15 als Apachen-Krieger gegen meinen Vater auf einer Bühne zu kämpfen, war schon eine besondere Erfahrung. Seinerzeit gab es einen kleinen Fernsehbeitrag, der titelte „Vater gegen Sohn“.

Was hat Sie an der Felsenbühne gereizt?

In dieser Naturkulisse habe ich die Spiellust für mich entdeckt, auf einer professionellen Ebene. Mir gefiel das Miteinander. Hier verfestigte sich ja auch der Schwur, den ich im Ralswieker Theatersand gegeben hatte: Schauspieler zu werden.

Sie haben ein Atelier in Ihrer Heimatstadt. Welche Art Kunst wächst dort heran?

Gemeinsam mit Freunden entstehen hier Bilder und Skulpturen aus recyceltem Material.

Mit welcher Intention?

Dresden etwas bunter zu machen. Das passiert viel zu selten. Anderswo in der Welt findet man das öfter. Warum nicht auch mal in Sachsen?

2024 ist Ihr drittes Störtebeker-Jahr. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Auf diesen großen Abenteuerspielplatz Naturbühne. Auf die Zeit mit allen Kollegen, das gemeinsame Finden der Geschichte. Auf das Publikum, die Freude vor jeder Vorstellung. Jeden Abend neu.

Interview: Gerlinde Bauszus

INFO
Das Stück „Hamburg 1401“ startet am 15. Juni 2024. Gespielt wird bis zum 31. August, immer montags bis samstags, jeweils ab 20 Uhr auf der Naturbühne Ralswiek/Rügen.
Tickethotline: 03838 31100

Foto: Störtebeker Festspiele

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