Bautzen: 1.000 Jahre und quicklebendig
Bautzen ist die Stadt der Türme. Sogar ein richtig schiefer gehört hier, weit weg von Pisa, dazu: der Reichenturm mit einer Neigung von 1,41 Metern. Doch damit nicht genug. Vom Stadtrand kommend, erhebt sich die Altstadt auf einem Granitplateau weit über den sprudelnden Wassern der Spree. Schon aus der Ferne grüßen die Wahrzeichen Alte Wasserkunst und Michaeliskirche – natürlich mit ihren Türmen.
Dieser schöne Anblick zeigt sich bei einem kurzen Spaziergang vom großen Touristik-Parkplatz an der Schliebenstraße ins Zentrum. Von dort geht es zunächst hinunter ins von üppigem Grün gesäumte Tal der Spree, über eine kleine Brücke und schließlich entlang der mittelalterlichen Stadtmauer hinauf aufs Plateau. Hinter dem Mühltor, dem kleinsten Stadttor Bautzens, erstreckt sich der Wendische Kirchhof.
Bautzen gilt als Zentrum sorbischer Kultur
Von der 1558 errichteten Alten Wasserkunst zur Rechten wurde in früheren Jahrhunderten das Wasser der Spree über Rohrleitungen in 86 Brunnen in der Stadt verteilt. Gleichzeitig gehörte der siebengeschossige Steinbau als Wehrturm zur Bautzener Befestigungsanlage. Linkerhand begrenzt die Kirche St. Michael den Wendischen Kirchhof. Das Gotteshaus ist seit 1619 die Gemeindekirche der evangelischen Sorben der Stadt und der umliegenden Dörfer.
Bautzen – sorbisch Budyšin – gilt als geistig-kulturelles und politisches Zentrum dieses kleinsten slawischen Volkes, das sich schon im 7. Jahrhundert in der Region ansiedelte. Straßen und Plätze sind zweisprachig beschildert, in Kindergärten und Schulen kann sorbisch gesprochen und gelernt werden. Das in der Oberlausitz beheimatete Obersorbisch ist übrigens dem Tschechischen verwandt. Niedersorbisch aus der zu Brandenburg gehörenden Niederlausitz rund um Cottbus ähnelt hingegen dem Polnischen.
Schlendern durch historische Gassen
Zu den Ursprüngen des im Jahr 1002 erstmals als „Civitas Budusin“ urkundlich erwähnten Bautzen führt die Heringstraße in westlicher Richtung. Beim Schlendern durch die abzweigende Mönchsgasse – Ziel ist die Ortenburg – kreuzt den Weg selbstverständlich wieder ein Turm, der sich jedoch eine recht ungewöhnliche Umgebung ausgesucht hat. Mitten in der Kirchenruine eines 1598 abgebrannten Franziskanerklosters reckt sich der imposante Wasserturm mit holzverkleidetem Behälter empor.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war er nicht allein, gab es hinter den Mauern doch noch die einfachen Behausungen einer „Budenstadt“. Vor einigen Jahren erst haben pfiffige Bautzener erneut zwei Wohnungen in die einstigen Klosteranlagen gebaut. In der historischen Altstadt finden sich eben viele Möglichkeiten, um einzigartig zu leben.
Ausgenommen davon ist allerdings die Ortenburg wenige Schritte weiter. Hier hat heute das Sächsische Oberverwaltungsgericht seinen Sitz. Im Salzhaus zeigt das Sorbische Museum seine Dauerausstellung. Ein besonders bedrückendes Kapitel Bautzener Geschichte lässt sich auf der Ortenburg ebenfalls in seinen Anfängen verfolgen. Zwischen 1740 und 1906 diente der alte Burgwasserturm als Gefängnis, in dem unter anderem die Räuberhauptmänner Johannes Karasek (1800–1803) und Wenzel Kummer (1813–1815) einsaßen.
Anfang des 20. Jahrhundertes wurden dann die Gefängnisse Bautzen I und II außerhalb der Altstadt eröffnet, bis heute Symbole für Unrecht und politische Verfolgung in der DDR. Im ehemaligen Stasi-Gefängnis Bautzen II in der Weigangstraße erinnert die Gedenkstätte Bautzen an die Opfer beider Haftanstalten.
Tiefer Blick in die Geschichte auf der Ortenburg
Ausgehend von der um 958 zur Grenzfeste ausgebauten Ortenburg dehnte sich die Stadt wie eine Zwiebel in mehreren Abschnitten nach Osten hin aus. Im Westen war dem ein natürlicher und auch taktisch kluger Schlusspunkt gesetzt: Hier endet das Felsplateau und es geht steil in die Tiefe. Geografische Lage und Stadtmauer verdeutlichen, dass sich das florierende Bautzen immer wieder gegen Angreifer und Eroberer zur Wehr setzen musste. Nach Zugehörigkeiten zur Mark Meißen, zu Polen, Brandenburg, Böhmen und selbst Ungarn wurde die Stadt 1635 schließlich sächsisch.
Ihr heutiges Gesicht erhielt die Ortenburg Mitte des 17. Jahrhunderts. Dennoch muss die Moderne nicht außen vor bleiben. Seit 2005 bereichert der Neubau des Burgtheaters den Innenhof. Neben den Puppen- und Jugendtheateraufführungen im Haus erzählt sogar die Fassade eine mitreißende Geschichte: Die Figurengruppe des Rietschelgiebels, die „Allegorie der Tragödie“, hat hier hinter Glas eine neue Heimstatt erhalten. Sie zeigt die wichtigsten Szenen der „Orestie“-Trilogie des Aischylos und war schon 1841 Teil des von Gottfried Semper erbauten Dresdner Hoftheaters.
Altstadt-Bummel mit Senf und Traditionen
Durch den eigentlichen Haupteingang der Ortenburg, den an den ungarischen König Matthias Corvinus erinnernden Matthiasturm, geht es nun hinaus auf die Schloßstraße und vorbei an dem ziegelroten Haus, in dem 1699 Bautzens Schlossapotheke eröffnet wurde. Mittlerweile gibt es in dem Gebäude aber schon seit Jahrzehnten keine Arzneien mehr, stattdessen ist hier eine der vielen lauschigen Altstadt-Gaststuben zu finden. Einem Bautzener Markenzeichen jüngeren Datums wird am Ende der Straße die Ehre erwiesen: dem Senf. Die scharfe Zutat sorgt in der Bautzener Senfstube zum Beispiel in Suppe, Brot oder Kartoffelpüree für das gewisse Prickeln auf der Zunge.
Kurz vor dem Domstift mit der Schatzkammer, die eine kostbare Sammlung liturgischer Gefäße, Bilder, Figuren und Gewänder beherbergt, führt zur Linken eine schmale, abschüssige Gasse durch den Torbogen des kegelförmigen Nicolaiturms. Halb verborgen hinter hohen Bäumen sind die Überreste der katholischen Nicolaikirche zu erkennen, um die sich der gleichnamige Friedhof ausbreitet. Inmitten der Grabsteine fallen zwei schneeweiße einheitliche Holzkreuze auf, wie sie zu Hunderten auf dem denkmalgeschützten sorbischen Friedhof im gut 20 Kilometer entfernten Ralbitz stehen.
Selbst im Inneren der Ruine wird seit 1745 bestattet. Hier fanden vor allem bedeutende Kirchenpersönlichkeiten ihre letzte Ruhe. Entlang der Mauerreste verläuft ein Wehrgang, von dem die viele Meter tiefer gelegene Stelle zu sehen ist, an der die alte Handelsstraße Via Regia die Spree querte. Im Westen erhebt sich der Protschenberg, wo alljährlich am Ostersonntag das beliebte Ostereierschieben stattfindet. Bei diesem typischen Bautzener Brauch rollen heutzutage bunte Plastikbälle anstelle von Eiern, Apfelsinen und Süßigkeiten den Hang hinunter, die dann von den Kindern in Geschenke umgetauscht werden können.
Der Dom St. Petri: eine Kirche für zwei Konfessionen
Auf solche Traditionen sind die Bautzener stolz. Auch darauf, dass ihre Stadt viel älter ist als Dresden. Und auf gelebtes Miteinander. Nicht nur Deutsche und Sorben kommen hier zusammen. Katholische und protestantische Christen nutzen mit dem spätgotischen Dom St. Petri sogar dasselbe Gotteshaus. Als Zeichen religiöser Toleranz wurde St. Petri im Zuge der Reformation schon 1524 Simultankirche.
Die beiden Konfessionen sind nur durch ein hüfthohes schmiedeeisernes Gitter voneinander getrennt. Auf jeder Seite beeindrucken jeweils Altar und Orgel besonders; über allem spannt sich das imposante Deckengewölbe. Als weiteres einendes Element hängt das große Gemälde mit der Abendmahlszene direkt über den beiden Türen, die links und rechts des Gitters in die Kirche führen.
Der Fleischmarkt als Vorplatz des Doms weist gleichzeitig den Weg zum Rathaus, dessen sonnengelbe Rückseite schon fast verrät, welche Rarität sich vorn zeigt: Den Turm des barocken Hauses ziert als unterste von drei Uhren eine Sonnenuhr, die nicht nur Stunden, sondern auch Datum, Taglänge und Monat preisgibt. Wer das System enträtselt hat, dem ist dann vielleicht noch nach ein wenig Bautzener Geschichte im Schnelldurchlauf.
Dieses Kunststück schafft der von der Statue des Ritters Dutschmann bekrönte Brunnen auf dem Hauptmarkt mit seinen ringsum in Granit gehauenen Panoramen wichtiger Ereignisse in der Stadt. Letzten Endes erzählt aber doch ganz Bautzen von wechselvollen 1.000 Jahren, die es zu dem gemacht haben, was es heute ist: die Hauptstadt der Oberlausitz, mittelalterlich, doch zugleich modern und absolut sehenswert.
Autorin: Claudia Weber